Verheddert in der Weltwahrnehmung*

Die Schweizer Lyrikerin Ruth Loosli hat mit „Mojas Stimmen“ ihren ersten Roman vorgelegt, der mit ausgefeilter Erzählkunst, dichter Atmosphäre und geschliffener Sprache beeindruckt.

Ruth Loosli
(Foto: Anne Bürgisser)

Hauptpersonen der Erzählung sind Paula und ihre fünfundzwanzigjährige Tochter Moja, die durch eine psychische Erkrankung buchstäblich aus dem geregelten Leben mit eigener Wohnung und Arbeitsplatz fällt. Vor Paulas Augen verschwindet Moja in eine für die Mutter unerreichbare und unverständliche Welt, in der Moja Stimmen hört, die ihr diktieren, was sie tun soll. Unermüdlich sucht Paula Wege zu ihrem Kind und muss sich doch abgrenzen, ist zwischen Wut und Verzweiflung hin- und hergerissen, will alles regeln und ordnen und muss erleben, dass sich diese Situation nicht ordnen lässt.

Das Thema ist in einer Zeit, in der viele junge Menschen Depressionen und andere psychische Krankheiten entwickeln, hochaktuell. Das Phänomen, dass vor allem junge Männer keinen Drang mehr verspüren, das elterliche Zuhause zu verlassen und selbstständig zu werden, lässt die betroffene Elterngeneration vielfach ratlos zurück. Eine Studie aus dem Jahr 2019 ergab, dass junge Erwachsene ihr Elternhaus im Schnitt mit 23,7 Jahren verlassen, was im europäischen Vergleich noch früh ist. In Kroatien verlassen die Kinder dagegen erst mit fast 32 Jahren ihr Elternhaus.[i]

Auch Paula überlegt, ihre erkrankte Tochter wieder zu sich zu nehmen, aber sie erkennt, dass das nicht möglich ist, dass sie sich dann nicht mehr würde schützen können. Ohnehin fühlt sie sich der Situation hilflos ausgeliefert, und ihre zupackende, organisierende Art hilft ihr in diesem Fall nicht – eher im Gegenteil. Sofort ist Moja verprellt und „macht dicht“, sobald ihre Mutter tatkräftig die Probleme angehen will, mit ungeöffneter Post kommt und fragt, wann Rechnungen bezahlt werden. Es ist ein ständiger Balanceakt aus dem Versuch, Nähe herzustellen, und dem immer wieder geschehenden Bruch, wenn Moja plötzlich fortgeht. Beim Lesen bangt man schon vor jedem Treffen, dass es wieder passiert.

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